Chicago House @ Planet

Chicago House @ Planet

31. März 1995, Bochum, Planet

Bericht eines Ohrenzeugen

von Tobias Koth

Der Geburtsort von House Music war bekanntlich Chicago. Über den genauen Geburtstermin streiten sich die Gelehrten noch: es soll auf jeden Fall so um 1985 herum passiert sein. Die Urväter von House hießen Ron Hardy, Frankie Knuckles und Farley Keith Williams. Ihnen folgte eine zweite Generation bedeutender Produzenten und DJs aus der windigen Stadt. Zu den stilbildenden Geistern dieser Generation zählen Armando Gallop, Mike Dunn, Roy Davis Jr. und Felix Da Housecat. Ihr Einfluss auf die globale House-Szene ist kaum zu überschätzen.

Radical Fear Tour FlyerUnd irgendwann im März 1995 standen die vier jungen House-Götter plötzlich vor den Toren der Stadt. Sie sollten an einem Freitag im Planet spielen – ein bekannter Rauchwarenhersteller machte es möglich! Hiermit war klar: dieses würde kein ‘normaler Freitagabend’ im Planet werden! An einem ‘normalen Freitagabend’ im Planet hörte zwar alles auf elektronische Tanzmusik – das Gebot der Genre-Vielfalt erlaubte es den Gästen, zwischen zwei Tanzflächen und zwei Ideen von elektronischer Clubmusik zu wählen. Im großen Club des Planeten lief in der Regel rauer abstrakter mitreißender Techno. Und wenn dort nicht gerade Ralf Odermann und Dennis Siemion die Tänzer in den Wahnsinn trieben, gaben sich Leute wie Jeff Mills, Derrick May, Joey Beltram, Juan Atkins oder Sven Väth die Klinke in die Hand.

Krischan Wesenberg und Tobias Koth
Krischan Wesenberg und Tobias Koth

Im kleinen Club dagegen pumpten deepe bis dramatische House-Beats durch den Saal – gelegentlich von Gesang begleitet. Krischan Jan-Eric Wesenberg und ich präsentierten für eine crowd von 50 bis 60 Tänzern das neueste Vinyl aus New York, Chicago, Detroit oder London. Wenn’s gerade passte gab es früh am Samstagmorgen auch mal einen Disco-Klassiker oder Chicago Old School-House zu hören. Gast-DJs wie Hans Nieswandt, Marshall Jefferson oder Blake Baxter machten das Angebot komplett. Der vibe im kleinen war zwar nicht weniger euphorisch als im großen Club – aber er war anders: man spürte hier jene Ahnung von afroamerikanischem Soul, der für House bekanntlich nicht ganz unwichtig ist.
Und nun sollten gleich vier junge Götter des Chicagoer House-Olymps an einem einzigen Freitagabend im Planet auflegen und zwar alle nacheinander und alle – wo? – im großen Club! Aber wie sollte ‘House im großen Club’ und womöglich sogar noch Vocal House dort funktionieren? Zwar wurde im Planet die handelsübliche Genre-Apartheit zwischen House und Techno an einem ‘normalen Freitagabend’ von sämtlichen Beteiligten in kürzeren Episoden gerne unterlaufen – aber wie sollte so etwas einen ganzen Abend lang funktionieren? Werden Bochums Techno-Heads ihr Eintrittsgeld zurückfordern? Wird man in Zukunft das Planet meiden wie der Teufel das Weihwasser? Jedenfalls sollten Krischan und ich an jenem denkwürdigen Freitagabend bis zum Eintreffen der House-Götter schon mal die Tanzfläche im großen Club anwärmen – womit nochmal? Äh – ach ja: mit House. Ihr wisst bescheid!
Um 22 Uhr ging es los. Der große Club war jetzt plötzlich noch viel größer als ich ihn in Erinnerung hatte. Was machen wir? Okay – dann legen wir House auf – eine Platte schön nach der nächsten und hoffen, das alles gut geht! Und es ging gut, denn es waren die neunziger Jahre: eine Zeit ohne Mobiltelefone, die zur nächsten Party locken – eine Zeit ohne Download-DJs, die den definitiv besseren Sound ihrer eigenen Laptop-Produktionen immer auf ihrem USB-Stick mit sich herumtragen – eine Zeit ohne nervende Experten und quengelnde Anführerinnen von Mädchengruppen – eine gute Zeit für DJs! Ein DJ konnte in den neunziger Jahren einen Abend ruhig aufbauen, langsam beginnen und wenn der Laden dann voll war, schneller werden – und wieder langsamer. Es war eine Zeit, in der ein gelungener Club-Abend über musikalische Kontraste verfügen durfte, Nuancierungen und Zwischentöne. Natürlich sollte es irgendwann dann auch mal richtig rund gehen auf der Tanzfläche. Der musikalische Tritt auf die Kupplung nebst Runterschalten waren jedoch elementare Zutaten einer guten Party. Und heute sollte so etwas stattfinden: eine gute Party mit vier House-Göttern aus der Stadt, in der alles anfing! Huh – wir fangen dann mal langsam an – es wird voller – die Leute tanzen – die Stimmung ist wundervoll – man grüßt sich – alle lächeln, freuen sich auf das was kommen wird. Es kann nichts schiefgehen, denn Krischan legt auch auf wie ein junger House-Gott!

Ich bekomme feuchte Augen – dann muss ich selber ran – habe allerdings extrem weiche Knie, die noch weicher werden, als nach einiger Zeit am rechten Rand meines Blickfeldes ein großer kräftiger Mann afroamerikanischer Herkunft erscheint. Ich ahne seinen Namen und hatte mir für diesen Fall etwas zurechtgelegt. Mike Dunn war eine Legende und eine Legende begrüßt man angemessen. Ich spielte seinen Track ‘Pressure Cooker’, der damals nicht ganz so geläufig war, wie der aktuelle Hit ‘God Made Me Funky’. Mike Dunn stand dann plötzlich vor mir, komplett in einem blauen Nike-Trainingsanzug, setzte seine Alu-Plattenkoffer ab, bot mir einen first bump, blickte auf die Platte, die gerade lief, lächelte und sagte: ‘…that’s a shit record!’ – meine weichen Knie stabilisierten sich! Mike Dunn holte sich an der Bar ein Wasser, dann kamen Armando, Roy Davis Jr. und Felix Da Housecat dazu – grüßten uns freundlich und stellten sich mit Vornamen vor.

Armando hatte eine kleine Videokamera dabei und hielt alles fest: ‘…für meine Familie zu Hause, die glauben mir das sonst nicht!“ Als Mike Dunn etwas später übernahm und nach ihm Armando, Roy Davis und Felix, entstand unter den Tänzern plötzlich nicht nur jene große Gewissheit von Glück und Erlösung, die das höchste Gut einer jeden Party ist. Es passierte noch etwas anderes: der komplette Planet feierte das Ende der Genre-Apartheid – jedenfalls für eine Nacht! Es war eine der besten Partys, an die ich mich erinnern kann. Was dabei musikalisch herauskam, macht mir nach fast zwanzig Jahren immer noch feuchte Augen…

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